Betreuungsrecht in Portugal

Dr. Alexander Rathenau, Lagos, Portugal

Vormundschaft – Generalvollmacht – Patientenverfügung – Vorsorgevollmacht
Dem gesetzlichen Betreuungsrecht kommt in Portugal weitaus geringere praktische Bedeutung zu, als in anderen Ländern, wie Deutschland. Die Generalvollmacht nimmt hingegen einen höheren Stellenwert ein. Mit dem kürzlichen Inkrafttreten gesetzlicher Regelungen zur Patientenverfügung und Vorsorgevollmachten, sind nun auch auf dem medizinischen Gebiet Willensbekundungen möglich.

A. Gesetzliche Vorschriften zur Vormundschaft

Die Art. 138-151 Código Civil (portugiesisches Zivilgesetzbuch) sehen vor, dass ein Volljähriger  bei einer psychischen Krankheit, Taubstummheit oder Blindheit durch eine gerichtliche Anordnung entmündigt werden kann (interdição).  Liegen die strengen Voraussetzungen einer Entmündigung nicht vor, kommt gem. Art.  152-156 Código Civil die Bestellung eines Gebrechlichkeitspflegers in Betracht (inabilitação).  Der Gebrechlichkeitspfleger steht dem Betroffenen unterstützend zur Seite und nur die konkreten Geschäfte, die im Gerichtsurteil im Einzelnen aufgeführt sind , unterliegen seinem Zustimmungs- bzw. Genehmigungsvorbehalt (Art. 153 Abs. 1 Código Civil). Das Entmündigungsurteil stellt hingegen den vollständigen Verlust der Geschäftsfähigkeit des Betroffenen fest.  Die Entmündigung führt auch zum Verlust der Ehe- und Testierfähigkeit.
Auf den Entmündigten finden die Vorschriften über die Minderjährigen entsprechende Anwendung (Art. 139 Abs. 1 Código Civil).  Damit ein Minderjähriger (hier Entmündigter) ein Rechtsgeschäft wirksam abschließen kann, bedarf es der Zustimmung seines gesetzlichen Vertreters.  Das ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters vorgenommene Rechtsgeschäft ist gem. Art. 125 Abs. 1, 148 Código Civil lediglich annullierbar, d.h. gerichtlich anfechtbar.  Ausnahmsweise kann der Entmündigte Geschäfte des täglichen Lebens vornehmen, die er erfassen kann und die nur Ausgaben oder Vermögensverfügungen geringer Relevanz beinhalten (Art. 139 i.V.m. 127 Abs. 1 lit. b) Código Civil).

Der Antrag auf Entmündigung kann durch den Ehegatten, Familienangehörigen der gesetzlichen Erbfolge, gesetzlichen Vertreter und die Staatsanwaltschaft gestellt werden (Art. 141 Abs. 1 Código Civil).

Die Entmündigung setzt die gutachterliche Feststellung voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner psychischen Krankheit, Taubstummheit oder Blindheit nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheit selbst zu besorgen. Gemeint ist sowohl die Unfähigkeit der Personen- als auch der Vermögensverwaltung. Der Betroffene darf allgemein nicht mehr in der Lage sein, sein Verhalten zu beurteilen und danach zu handeln. Das ist in der Regel nur bei einer psychischen Krankheit  der Fall. Das Gutachten unterliegt der freien richterlichen Beweiswürdigung. Kommt das Gutachten zu keinem eindeutigen Ergebnis über den Grad der Unfähigkeit des Betroffenen, so wird der Antragsteller angehört, der auf eigene Kosten ein ärztliches Gutachten in Auftrag geben kann. Dabei kann der Antragsteller beantragen, dass der Betroffene über einem Zeitraum von bis zu einem Monat in der Klinik interniert wird.  Vor dem Urteil wird der Betroffene außerdem durch den Richter vernommen. Das Gutachten und das Ergebnis der Vernehmung bilden die Grundlage für das Gerichtsurteil.  Das Gericht kann in jedem Stadium des Verfahrens einen vorläufigen Vormund benennen und ausnahmsweise auch eine vorläufige Entmündigung anordnen.

Wer Betreuer bzw. Vormund des Betroffenen wird, legt das Gesetz fest. Zum Vormund wird folgende Person in nachfolgender subsidiären Reihenfolge bestellt: (1) der Ehegatte des Betroffenen ; (2) die Person, die von den Eltern des Betroffenen genannt wird; (3) einem Elternteil des Betroffenen im Einklang mit seinem (mutmaßlichen) Interesse; (4) einem volljährigen Kind, wobei das älteste Kind grundsätzlich den Vorrang hat und (5) ist eine Vormundbestellung gem. der o.g. Reihenfolge nicht möglich oder liegen gewichtige Gründe vor, die gegen die Bestellung einer der Person gem. der o.g. Reihenfolge sprechen, entscheidet das Gericht nach Anhörung des Familienrates.  Das portugiesische Recht sieht nicht die Möglichkeit vor, dass der Betroffene im Wege einer Vorsorgevollmacht zu einem Zeitpunkt, zu dem die Betreuungssituation noch nicht eingetreten ist, bereits eine Person benennt, die als seinen Betreuer bzw. Vormund agieren soll. Vielmehr bezieht sich die Vorsorgevollmacht in Portugal nur auf medizinische Behandlungsmethoden im Kontext der Patientenverfügung (dazu unten).

Es gibt keine statistischen Erhebungen über die Anzahl der Entmündigungen in Portugal. Im europäischen Vergleich kann jedoch davon ausgegangen werden, dass in Portugal nur wenige Gerichte die Entmündigung ausprechen. Das hat mehrere Gründe. Trotz der hohen Anzahl psychisch Kranker (vor allem Demenz), die nicht mehr in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen, gibt es oftmals kein Bedarf an einer Vermögensverwaltung. Die Einschaltung eines Gerichts wird von vielen Familienangehörigen außerdem als einen Schritt angesehen, der nur im äußersten Notfall gegangen wird. Die Justiz hat keinen guten Ruf. Außerdem hat die Generalvollmacht eine große praktische Bedeutung (dazu unten). Ist das Familienmitglied im Besitz einer solchen Vollmacht, sieht es in der Regel keinen praktischen Nutzen an einer gerichtlichen Intervention: „wo kein Kläger, da kein Richter“. Ferner gibt es keine professionellen Betreuer. Eine Ausbildung zum Betreuer gibt es nicht. Wie bereits erörtert, wird der Vormund grundsätzlich aus dem engen familiären Personenkreis bestellt. Schließlich werden die Voraussetzungen der Entmündigung durch das Gericht streng geprüft; es kommt häufig vor, dass die Entmündigung durch Familienangehörigen beantragt wird, die sich dadurch finanzielle Vorteile erhoffen und daher aus Habgier handeln. Das Gericht befasst sich sehr eingehend mit dem Antrag auf Entmündigung, um solche Fälle möglichst zu erkennen. Im Zweifelsfalle besteht die Möglichkeit der Bestellung eines Gebrechlichkeitspflegers (inabilitação) als ein wesentliches Minus zur Entmündigung oder es wird auch davon abgesehen. Eine Entmündigung ist nur statthaft, wenn das Gericht sich sicher ist, dass diese zum Schutz des Betroffenen notwendig ist. Das Entmündigungsurteil greift nämlich stark in das verfassungsrechtliche garantierte Persönlichkeitsrecht der Person ein.

B. Generalvollmacht

Üblich ist in Portugal die Erstellung einer Generalvollmacht zu Gunsten einer Vertrauensperson für den Fall des Eintritts einer psychischen Erkrankung. In der Regel wird als Vertreter der Ehegatte oder das Kind eingesetzt. Wichtig ist, dass die Formvorschrift für das Rechtsgeschäft auch für die Form der Vollmachtserteilung gilt (Art. 262 Abs. 2 Código Civil).  In Portugal muss demnach der Vertreter bei einem Grundstücksgeschäft eine Vollmacht vorlegen, die entweder notariell oder anwaltlich beurkundet wurde. Die notarielle oder anwaltliche Beurkundung empfiehlt sich jedoch unabhängig vom Vollmachtsumfang. Die Vollmacht erlischt, wenn sie vom Vollmachtgeber (wirksam) widerrufen wird, der Vertreter auf sie verzichtet oder das ihr zugrunde liegende Grundverhältnis bzw. Grundgeschäft erlischt (Art. 265 Abs. 1 Código Civil). Anders als im deutschen Recht erlischt die Vollmacht mit dem Tod des Vollmachtgebers oder Vollmachtnehmers, da das der Vollmacht zugrunde liegende Auftragsverhältnis erlischt (Art. 1174 lit. a), 265 Abs. 1 Código Civil). Die Generalvollmacht verbirgt freilich die Gefahr des Missbrauches. Eine gesetzlich vorgesehene „Kontrollbetreuung“ gibt es in Portugal nicht; vielmehr müsste ein Vormund oder Gebrechlichkeitspflegers im oben genannten Sinne gerichtlich bestellt werden. Im Eilfall kann dies vorläufig geschehen.

C. Patientenverfügung

In Zeiten der fortschreitenden und modernen Medizin und der damit verbundenen Möglichkeiten, Patienten immer länger künstlich am Leben zu erhalten, ist es für viele Menschen von erheblichem Interesse, ihre Vorstellungen von einem würdevollem Sterben in einer Patientenverfügung festzuhalten und so einer „Übertherapie“ zu entgehen.

Die Wertvorstellungen des Patienten zu kennen, ist für den behandelnden Arzt von großer Bedeutung. Insbesondere, wenn mit dem Patienten aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr direkt kommuniziert werden kann, ist die Patientenverfügung (Testamento Vital) ein geeignetes Instrument, um den Willen des Patienten festzustellen und die richtigen Maßnahmen einzuleiten.

In Portugal hat der Gesetzgeber diesem Thema in den letzten Jahren mehr Beachtung geschenkt. In Portugal ist das Erstellen einer Patientenverfügung erst seit knapp über einem Jahr möglich, obwohl der portugiesische Bioethik-Verein dem Parlament schon im Jahr 2006 einen Vorschlag zur Legalisierung der Patientenverfügungen vorlegte. Erst im Mai 2009 wurde durch die PS-Fraktion im portugiesischen Parlament ein Gesetzesvorschlag über „die Rechte der Patienten auf Information und Einwilligung“ erarbeitet. Kurze Zeit später wurde dieser Vorschlag jedoch wieder zurück genommen. Im Dezember 2010 hat der Nationale Ethik-Rat ein Gutachten zu Patientenverfügungen erstellt und die Verabschiedung eines Gesetzes, das schriftliche Patientenverfügung sowie Vorsorgevollmachten zulässt, empfohlen. Die Regelungsvorschläge des Nationalen Ethik-Rates wurden vom Gesetzgeber weitgehend angenommen. Am 1. Juni 2012 ist das Gesetz Nr. 25/2012 im portugiesischen Staatsanzeiger veröffentlicht worden und am 16.08.2012 schließlich in Kraft getreten.

Bei dem Testamento Vital handelt es sich um ein einseitiges frei widerrufliches Dokument, in dem der Patient in noch nicht unmittelbar bevorstehende konkrete ärztliche Maßnahmen, für den Fall der späteren Einwilligungsunfähigkeit, einwilligt oder diesen widerspricht (Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes).

Der behandelnde Arzt ist an das Testamento Vital gebunden. Jedoch gibt es Situationen, in denen der Arzt die Anweisungen aus der Patientenverfügung nicht befolgen muss. So ist der behandelnde Arzt nicht an das Testamento Vital des Patienten gebunden, wenn die Befolgung gegen das Gesetz oder die öffentliche Ordnung verstoßen würde oder Maßnahmen verlangt werden, die gegen die guten Sitten verstoßen würden (Art.5 des Gesetzes). Beispiele hierfür bilden die Tötung auf Verlangen gem. Art. 134 sowie die Förderung der Selbsttötung gem. Art. 135 des Código Penal (Strafgesetzbuch). Außerdem kann der behandelnde Arzt den in dem Testamento Vital festgelegten Willen des Patienten missachten, wenn nachgewiesen wird, dass der Patient die Verfügung nicht beibehalten möchte, eine offenbare Willensänderung des Patienten infolge des Fortschritts der therapeutischen Behandlungsmethoden festzustellen ist oder sein in der Verfügung festgehaltener Wille nicht dem eingetretenen Sachverhalt entspricht, den er zum Zeitpunkt der Errichtung der Patientenverfügung vorhersah. Schließlich besteht die Möglichkeit aus Gewissensgründen die Umsetzung des in der Verfügung manifestierten Willens des Patienten zu verweigern. Im letzteren Fall hat der Arzt seine Weigerung zu begründen. Ein anderer Arzt wird sodann mit der Durchführung betraut. Außerdem kann der Arzt im Falle des Eintritts einer plötzlichen Lebensgefahr des Patienten die Verfügung unberücksichtigt lassen, wenn deren Einholung zu Verzögerungen führen würde, die das Leben oder die Gesundheit des Patienten gefährden würden (Art. 6 Abs. 4 des Gesetzes). Aus diesem Grund bietet es sich an, einen so genannten Notfallpass, also eine Kurzform der Patientenverfügung, anzufertigen und diese stets bei sich zu führen. Ansonsten gewährleistet das Hinterlegen von mehreren Kopien an mehreren Orten, wie z.B. bei Angehörigen und dem Hausarzt, das schnelle Auffinden der Verfügung. Hervorzuheben ist, dass hinsichtlich der Aufbewahrung der Patientenverfügung in Portugal derzeit noch an einer zentralen Datenbank, dem so genannten Registo Nacional do Testamento Vital gearbeitet wird.

Grundsätzlich kann die Einwilligung oder der Verzicht in sämtliche konkrete medizinische Behandlungen, lebenserhaltende Maßnahmen (künstliche Ernährung, künstliche Flüssigkeitszufuhr, künstliche Beatmung, Dialyse), sowie die Situation für die dies gelten soll, in der Patientenverfügung dargelegt werden. Diesbezüglich kann es ratsam sein, den Rat eines Fachkundigen einzuholen. Eine Beratungspflicht besteht aber nicht, da die Absicht des Verfassers auch darin liegen kann allgemeine Richtlinien für medizinische Behandlungen festzuhalten, die dann als Indiz für den mutmaßlichen Patientenwillen vom Bevollmächtigten zu berücksichtigen sind.

Hinsichtlich der Formvorschriften gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen der Rechtslage in Deutschland und Portugal. Zwar unterliegen sowohl die Patientenverfügung als auch das Testamento Vital der Schriftform und müssen durch den Verfügenden persönlich unterzeichnet werden. Allerdings muss die Verfügung in Portugal notariell beglaubigt werden. Auch die Änderung und der Widerruf des Testamento Vital unterliegen der Schriftform mit notarieller Beglaubigung (Art. 3 Abs. 1 des Gesetzes). Ausnahmsweise kann die Verfügung jedoch auch mündlich widerrufen oder geändert werden, wenn die Erklärung gegenüber dem behandelnden Arzt erfolgt.
Der portugiesische Gesetzgeber hat verdeutlicht, dass es keinen wie auch immer gearteten Zwang zur Abfassung einer Patientenverfügung geben darf. Insbesondere darf die Errichtung oder Vorlage einer Patientenverfügung in beiden Ländern nicht zur Bedingung eines Vertragsschlusses gemacht werden (Art. 10 des Gesetzes).
Das Testamento Vital ist fünf Jahre lang gültig, wobei die Frist nach Ablauf der fünf Jahre verlängert werden kann, indem dies in gleicher Form bekundet wird. Das Testamento Vital bleibt nur in Kraft, wenn der Verlust der Einwilligungsfähigkeit innerhalb der Gültigkeitsdauer von fünf Jahren eintritt. Wird das Testamento Vital geändert, verlängert sich die Gültigkeitsdauer der Verfügung automatisch um weitere fünf Jahre (vgl. Art. 7 des Gesetzes).

D. Vorsorgevollmacht

Wer im Ernstfall die Rolle des Betreuers in medizinischen Angelegenheiten übernimmt, sollte nicht dem Zufall überlassen werden. Da Familienangehörige und Ehepartner nicht automatisch dazu berechtigt sind, sich in Gesundheitsfragen gegenseitig zu vertreten, kommt der Vorsorgevollmacht große Bedeutung zu. Der Bevollmächtigte kann die Anweisungen der Patientenverfügung gegenüber dem Behandlungsteam durchsetzen. Es empfiehlt sich daher eine Kombination von Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Wichtig ist, dass der in der Vorsorgevollmacht genannte Betreuer (begrifflich besser: Bevollmächtigter) in Portugal nur als Vertreter in medizinischen Angelegenheiten (procurador de cuidados de saúde) fungiert (Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 25/2012 vom 16.07.2012).

Der Vollmachtgeber kann eine beliebige Person einsetzen. Der Betreuer entscheidet über medizinische Behandlungen, die der Vollmachtgeber entweder erhalten oder nicht erhalten möchte, wenn dieser sich in einer Lage befindet, in der er nicht mehr seinen Willen eigenständig bekunden kann. Anders als die Patientenverfügung unterliegt die Vorsorgevollmacht keiner begrenzten Gültigkeitsdauer.

Ausländischen Mitbürgern, wie deutsche Staatsangehörige, die sich regelmäßig in Portugal aufhalten, ist in der Regel zu raten, durch die Erstellung einer portugiesischen Generalvollmacht sowie einer Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht vorzusorgen. Oftmals wird übersehen, dass deutsche Vollmachten und Verfügungen in Portugal nicht verwendet werden können bzw. anerkannt werden.