Betreuungsrecht in Schweiz

Niels SCHINDLER, Rechtsanwalt, LL.M., Partner, DGE Rechtsanwälte, Genf
Charlotte BACHMANN, Rechtsanwältin, DGE Rechtsanwälte, Genf

1. Das Schweizerische Zivilgesetzbuch widmet ein ganzes Kapitel dem Erwachsenenschutz (dritte Abteilung, Art. 360 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs) und insbesondere den behördlichen Massnahmen für schutzbedürftige Personen, die administrative, finanzielle oder allgemeine Unterstützung benötigen (Art. 388 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs)

2-3. Das Erwachsenenschutzrecht ist kürzlich aktualisiert worden, um die Verhängung sowie die Anwendung der Schutzmassnahmen flexibler zu gestalten, aber vor allen Dingen auch, um die spezifischen Bedürfnisse jeder Einzelperson, auf welche eine dieser Massnahmen angewendet werden soll,besser berücksichtigen zu können.

Die neuen gesetzlichen Bestimmungen sind am 1. Januar 2013 in Kraft getreten.

Das frühere Vormundschaftsrecht sah rechtliche Massnahmen zugunsten von Personen vor, die nicht in der Lage sind, selber ihre Interessen zu wahren.

Es handelte sich um vier Vormundschaftsmassnahmen: die eigentliche Vormundschaft (Art. 368 bis 372 ZGB), die Beiratschaft (Art. 395 ZGB), die Beistandschaft (Art. 392 bis 394 ZGB) – die alle drei an die Ausübung eines behördlichen Auftrags gebunden sind, und deren Inhalt gesetzlich genau festgelegt ist – sowie die fürsorgerische Freiheitsentziehung (Art. 397a bis 397f), welche es ermöglicht, eine Person in einer Anstalt unterzubringen, um ihr die aufgrund ihres Zustands erforderliche Hilfe zu leisten.
Das aktualisierte Erwachsenenschutzrecht sieht zwei neue Instrumente vor:

– den Vorsorgeauftrag (Art. 360 ff. ZGB), welcher es einer urteilsfähigen Person ermöglicht, eine natürliche oder juristische Person für den Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der Übernahme ihrer Personensorge oder Vermögenssorge zu beauftragen oder sie im Rechtsverkehr zu vertreten;

– die Patientenverfügung (Art. 370 ff. ZGB), welche es einer urteilsfähigen Person ermöglicht, einerseits die medizinischen Massnahmen festzulegen, welchen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt, sowie andererseits eine natürliche Person zu bezeichnen, die, ebenfalls im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit, befugt ist, in ihrem Namen einer medizinischen Behandlung zuzustimmen.

Im Übrigen sieht der aktualisierte Gesetzestext hinsichtlich der Vormundschaft nur noch ein einziges Institut als Erwachsenenschutzmassnahme vor, und zwar die Beistandschaft. Diese Massnahme kann mehrere Formen annehmen:

– die Begleitbeistandschaft: der Begleitbeistand unterstützt die Person bei der Erledigung bestimmter Angelegenheiten. Diese Massnahme schränkt nicht die Handlungsfähigkeit der betroffenen Person ein und verleiht keine Vertretungsmacht oder Verwaltungsbefugnis. Diese Massnahme wird ausschliesslich mit Zustimmung der betroffenen Person angeordnet;

– die Vertretungsbeistandschaft: diese Massnahme verleiht dem Vertretungsbeistand die Vertretungsmacht der betroffenen Person im Hinblick auf genau definierte Handlungen und Aufgaben. Die Vertretungsbeistandschaft kann sich auch auf die Verwaltung des Vermögens der betroffenen Person erstrecken;

– die Mitwirkungsbeistandschaft: der Mitwirkungsbeistand muss zu vorab durch die Schutzbehörde festgelegten Handlungen seine Zustimmung erteilen. Diese Massnahme verleiht keine Vertretungsmacht;

– die umfassende Beistandschaft, welche alle Bereiche der Personensorge, der Vermögenssorge und der rechtlichen Beziehungen mit Dritten umfasst. Der Beistand hat die Vertretungsmacht für die betroffene Person, welche so gesetzlich ihre Handlungsfähigkeit verliert.
Das eigentliche Ziel der Gesetzesrevision besteht in der Einführung eines Systems von „massgeschneiderten Massnahmen“.
So muss die Behörde im Rahmen der ersten drei genannten Arten der Beistandschaft die Aufgaben des Beistands entsprechend dem Bedarf der betroffenen Person bestimmen. Es ist zudem möglich, diese drei Beistandsarten miteinander zu kombinieren. Dies erfolgt immer mit dem Ziel, die am besten geeignete Massnahme für die betroffene Person zu finden.
Dieses Prinzip der „massgeschneiderten Massnahme“ hat auch eine neue Art von Beistand hervorgebracht. Dabei wird eine Person, im Allgemeinen ein Rechtsanwalt, ernannt, die während des Verfahrens zur Einführung einer Schutzmassnahme mit der Wahrung der Interessen der betroffenen Person beauftragt wird. Die Funktion des amtlicheingesetzten Beistands besteht hauptsächlich darin, zu gewährleisten, dass die ergriffene Massnahme im jeweiligen Fall verhältnismässig und angemessen ist.

Im Übrigen fallen alle Entscheidungen in Bezug auf den Kindes- und Erwachsenenschutz von nun an in die Zuständigkeit einer einzigen fachübergreifend tätigen Behörde, welche von den Kantonen bestimmt wird.
Schliesslich sieht das Zivilgesetzbuch auch die fürsorgerische Unterbringung einer Person in einer geeigneten Einrichtung vor (Art. 426 ff. des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs).
4.    Referenz: Schweizerische Statistik der Erwachsenenschutzmassnahmen Jahresvergleich (1996 – 2011)
Gemäss den aktuellsten verfügbaren Statistiken wurden in der Schweiz im Jahr 2011 81’724 Personen einer Schutzmassnahme unterstellt, dies bei einer Gesamtbevölkerung von 7’870’134 Personen. Im selben Jahr wurden 11’963 neue Schutzmassnahmen angeordnet .
So wurden beispielsweise im Kanton Genf im Jahr 2011 3522 Personen einer Schutzmassnahme unterstellt; dies bei einer Gesamtbevölkerung von damals 371’768 Personen.Daraus resultiert ein Durchschnitt von 9,47 Fällen auf 1000 Erwachsene, bei denen die Verhängung einer Schutzmassnahme erforderlich war .

5.    Sieht sich die Behörde für Kindes- und Erwachsenenschutz mit einem Fall konfrontiert, der die Verhängung einer Schutzmassnahme erforderlich macht, wird sie auch eine Person ernennen müssen, die mit der Unterstützung der schutzbedürftigen Person beauftragt ist: einen Beistand.

Bei dieser Person kann es sich sowohl um eine natürliche Person als auch um eine Institution handeln. In Genf kann dies zum Beispiel derService de protection de l’adulte (SPAD)sein. Es können auch mehrere Beistände ernannt werden, und schliesslich können die Beistände auch nahestehende Personen sein (Ehepartner, eingetragener Partner, Väter, Mütter, Nachkommen, Brüder, Schwestern etc. …).

Daraus ergeben sich drei Arten von Beiständen: die Amtsbeistände, die privaten Berufsbeistände oder die privaten Nichtberufsbeistände. Die Erstgenannten werden im Allgemeinen ernannt, wenn die zu schützende Person nicht über die finanziellen Mittel verfügt, um diese Dienstleistungen zu bezahlen.

6.    Zu dieser Frage wird vorliegend auf die Punkte 2-3 verwiesen, wo das Schweizerische Rechtssystem zum Erwachsenenschutz beschrieben wird.

7.    Art. 416 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs zählt alle Situationen auf, für welche der Beistand der Zustimmung der Erwachsenenschutzbehörde bedarf, bevor er im Namen und auf Rechnung der betroffenen Person handeln darf.

Gleichermassen müssen allfällige zwischen der betroffenen Person und seinem Beistand abgeschlossene Verträge der Erwachsenenschutzbehörde vorgelegt werden (Art. 416 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs).

Ist der Beistand auch mit der Verwaltung der finanziellen Angelegenheiten der betroffenen Person beauftragt, so sind ihr auch die Abrechnungen vorzulegen.

Schliesslich kann die Behörde beim Vorliegen wichtiger Gründe anordnen, dass ihr auch weitere Geschäfte zur Zustimmung unterbreitet werden müssen (Art. 417 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs).

8.    Das Schweizerische Recht sieht keine spezielle Ausbildung zum Beistand vor. Der Gesetzestext bestimmt lediglich, dass der Beistande über die zur Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse verfügen muss, dass er über die erforderliche Zeit verfügen muss, und dass er diese Aufgaben persönlich auszuführen hat.

9.    In der Schweiz erlassen die Kantone die Ausführungsbestimmungen und die Entschädigungsregelungen für die Beistände. So erhalten im Kanton Genf die privaten Berufsbeistände und die Amtsbeistände eine Entschädigung (Art. 404 Abs. 1 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs). Die privaten Nichtberufsbeistände üben ihr Amt in der Regel kostenlos aus, können in bestimmten Fällen jedoch auch eine Entschädigung erhalten.

10.    Bei den ernannten Berufsbeiständen handelt es sich im Allgemeinen um Rechtsanwälte.

11.    Das für Erwachsenenschutz zuständige Gericht ordnet eine Beistandschaft an und ernennt somit einen Beistand. Der Ernennungsbeschluss vermittelt dann die im Rahmen desGerichtsentscheides beschriebenen Befugnisse, d.h. je nach Art der angeordneten Beistandschaft.

Wenn die Person zum Beispiel unter umfassende Beistandschaft gestellt wird, verfügt ihr Beistand über die umfassenden Befugnisse in allen Bereichen des täglichen Lebens dieser Person. Diesbezüglich ist darauf hinzuweisen, dass er gesetzlich verpflichtet ist, der Schutzbehörde Rechenschaft abzulegen.

12.    Die umfassende Beistandschaft deckt alle Bereiche der Personensorge, der Vermögenssorge und der rechtlichen Beziehungen mit Dritten ab (Art. 398 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs).

13.    Im Fall der Ernennung eines Beistands durch das Gericht für Erwachsenen- und Kindesschutz, wie vorstehend dargelegt, ist es der amtliche Ernennungsbeschluss, welcher dem Beistand die für ihn erforderlichen Befugnisse einräumt und deshalb die Wirkung einer Vollmacht hat. Da dies eine offizielle gerichtliche Handlung ist, genügt der erlassene Beschluss und es erübrigt sich, diesen vor einem Notar beurkunden/beglaubigen zu lassen.

14.    Das Schweizerische Recht sieht die Möglichkeit einer Patientenverfügung vor (Art. 370 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs).

Die Errichtung einer Patientenverfügung hat schriftlich und mitDatum und Unterschrift zu erfolgen. In der Patientenverfügung bestimmt die verfügende Person die medizinischen Behandlungen, worunterjegliche Handlungen zu verstehen sind, welche die körperliche oder psychische Unversehrtheit des Patienten beeinträchtigen. Sie kann überdies eine natürliche Person ernennen, die damit beauftragt wird, in ihrem Namen über die an ihr vorzunehmenden medizinischen Behandlungen zu entscheiden.

Die Patientenverfügung findet Anwendung, sobald die betroffene Person urteilsunfähig wird.

Wird eine Person unter umfassende Beistandschaft gestellt, so vertritt der Beistand sie bei allen Rechtshandlungen, mit Ausnahme der höchstpersönlichen Rechte, sofern sie urteilsfähig ist. Unter höchstpersönlichen Rechten ist insbesondere das Recht zu verstehen, medizinischen Behandlungen zuzustimmen.