Die Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger in Österreich

Ein Beitrag des Präsidenten der österreichischen Rechtsanwaltskammer Dr. Rupert Wolff:

In Österreich gibt es die „Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger“: Sofern eine volljährige Person aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens nicht selbst zu besorgen vermag und sie dafür keinen Sachwalter und auch sonst keinen gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter hat, kann sie bei diesen Rechtsgeschäften von einem nächsten Angehörigen vertreten werden. Gleiches gilt für Rechtsgeschäfte zur Deckung des Pflegebedarfs sowie für die Geltendmachung von Ansprüchen, die aus Anlass von Alter, Krankheit, Behinderung oder Armut zustehen (insbesondere sozialversicherungsrechtliche Ansprüche, Ansprüche auf Pflegegeld und Sozialhilfe sowie Gebührenbefreiungen und andere Begünstigungen). Die Vertretungsbefugnis umfasst auch die Zustimmung zu einer medizinischen Behandlung, sofern diese nicht gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist und der vertretenen Person die Einsichts- und Urteilsfähigkeit fehlt (§ 284b Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, im folgenden ABGB).

 Nächste Angehörige sind die Eltern, volljährige Kinder, der im gemeinsamen Haushalt mit der vertretenen Person lebende Ehegatte oder eingetragene Partner und der Lebensgefährte, wenn dieser mit der vertretenen Person seit mindestens drei Jahren im gemeinsamen Haushalt lebt (§ 284c Abs. 1 ABGB). Der nächste Angehörige hat die vertretene Person von der Wahrnehmung seiner Vertretungsbefugnis zu informieren. Diese Vertretungsbefugnis tritt jedoch nicht ein bzw. endet, wenn die vertretene Person ihr widerspricht – ungeachtet des Verlusts ihrer Geschäftsfähigkeit oder Einsichts- und Urteilsfähigkeit (§ 284d ABGB).

 Der nächste Angehörige hat seine Vertretungsbefugnis vor der Vornahme einer Vertretungshandlung im Österreichischen Zentralen Vertretungsverzeichnis registrieren zu lassen (§ 284e Abs. 2 ABGB).

 Von der Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger ist die Vorsorgevollmacht zu unterscheiden: Die Vorsorgevollmacht soll dann wirksam werden, wenn der Vollmachtgeber die zur Besorgung der anvertrauten Angelegenheiten erforderliche Geschäftsfähigkeit oder Einsichts- und Urteilsfähigkeit oder seine Äußerungsfähigkeit verliert (§ 284f Abs. 1 ABGB).

 Die Vorsorgevollmacht muss vom Vollmachtgeber eigenhändig geschrieben und unterschrieben werden. Hat der Vollmachtgeber die Vollmacht zwar eigenhändig unterschrieben, aber nicht geschrieben, so muss er in Gegenwart dreier unbefangener Zeugen bekräftigen, dass der Inhalt der Urkunde seinem Willen entspricht. Die Einhaltung dieses Formerfordernisses muss von den Zeugen auf der Urkunde bestätigt werden. Unterschreibt der Vollmachtgeber die Urkunde nicht, so muss ein Notar die Bekräftigung durch den Vollmachtgeber beurkunden (Details siehe § 284f Abs. 2 ABGB).

 Die Angelegenheiten, zu deren Besorgung die Vollmacht erteilt wird, müssen bestimmt angeführt sein. Soll die Vorsorgevollmacht auch Einwilligungen in medizinische Behandlungen i.S.d. § 283 Abs. 2, Entscheidungen über dauerhafte Änderungen des Wohnortes sowie die Besorgung von Vermögensangelegenheiten, die nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören, umfassen, so muss die Vorsorgevollmacht unter ausdrücklicher Bezeichnung dieser Angelegenheiten vor einem Rechtsanwalt, einem Notar oder bei Gericht errichtet werden (§ 284f Abs. 1, 3 ABGB).

 Sowohl bei der Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger als auch bei einer Vorsorgevollmacht steht dem Vertretenen ein formloses Widerrufsrecht zu (§ 284d Abs. 2 ABGB, § 284d Abs. 3 ABGB).

 Durch die Registrierung der Vertretungsbefugnis nächster Angehöriger und durch die Formerfordernisse bei der Errichtung einer Vorsorgevollmacht kommt es bis zu einem gewissen Grad auch zu einer „Kontrolle“ durch den Notar bzw. den Rechtsanwalt oder das Gericht (siehe oben).

 Vorsorgevollmachten aus anderen Ländern werden nach den maßgeblichen kollisionsrechtlichen Bestimmungen in Österreich anerkannt. Das Bestehen, der Umfang, die Änderung und die Beendigung einer Vorsorgevollmacht werden nach dem Recht des Staates bestimmt, in dem der Erwachsene im Zeitpunkt der Vereinbarung oder des Rechtsgeschäfts seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (ausgenommen es wurde eine Rechtswahl getätigt). Die Art und Weise der Ausübung einer solchen Vertretungsmacht wird vom Recht des Staates bestimmt, in dem sie ausgeübt wird (siehe dazu Artikel 15 Haager Erwachsenenschutzübereinkommen).

Dr. Rupert Wolff

Präsident der österreichischen Rechtsanwaltskammer

Österreichischer Rechtsanwaltskammertag (ÖRAK)

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